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Waller geht durch die Zeit wie die Zeit durch ihn hindurchgegangen

Bereits die Vorbereitungsphase zu "Waller" und selbst noch die Dreharbeiten waren ein einziger Kampf gegen das Verschwinden der Drehorte und damit gegen die Zeit: die Bahnlinie wurde endgültig demontiert, Bahnhöfe wurden abgerissen und an einem der letzten Drehtage wurde die neue Autobahn, die die Bahnlinie verdrängte, feierlich eingeweiht - gewissermaßen als krönender Abschluß. Die Aussage des Films hatte uns eingeholt.

Im Sommer 1981 begann ich mit den Recherchen an der Bahnlinie Kempten - Isny, die von der Stillegung bedroht war. Später bin ich dann den Geschichten und dem Beruf des Streckengehers buchstäblich nachgegangen: kilometerlang die Gleise - Schwelle für Schwelle, Schritt für Schritt - die ganze Strecke abgeschritten, um der Perspektive der Figur nachzuspüren.

Auf einer dieser Spurensuchen traf ich zufällig auf den alten Streckengeher dieser Bahnlinie. In langen Erzählungen ließ ich mir von ihm den Beruf erklären, hörte Geschichten von der Strecke, beging gemeinsam mit ihm das Gleis.

 

Als ich dann zurückgezogen auf einem alten, entlegenen Bauernhof in Ruhe und
Konzentration das Drehbuch zu "Waller" schrieb, wußte ich genau, wo ich drehen
würde. Davon ausgehend entwickelte ich die fiktive Lebensgeschichte von Waller; die Stimmung der Geschichte und die Atmosphäre der Bilder war mir klar vor Augen.

Vielleicht ist meine Faszination, in Bildern zu denken, auch daraus entstanden, daß ich in meiner Kindheit und Jugend sehr viel Zeit in der freien Landschaft, in den Bergen verbrachte. So sind Landschafts- aufnahmen im Film für mich ein zentrales Ausdrucksmittel, weil sie Stimmungen auslösen und eine Art Spiegel der Seele sind, eine riesige Projektionsfläche für die Vorstellungswelt und Imaginationskraft des Zuschauers: darin zu sehen, was im Grunde genommen in einem selbst verborgen ist. Die ruhigen Sequenzen des Wallerschen Streckengangs ermöglichen in diesem Sinne dem Zuschauer Eigenleben und Frciraum für Gedanken und Gefühle.

Oder, um mit Michelangelo Antonioni zu sprechen:

"Einmal in ihr Flußbett eingeschlossen, lauft eine Geschichte Gefahr, darin zu versickern, wenn man nicht zuläßt, daß sich ihre Zeit nach außen hin verlängert, dorthin, wo wir, die Protagonisten aller Geschichten, leben. Wo nichts abgeschlossen ist."

Christian Wagner